20130604

Auf der Elbe durch die Sächsische Schweiz

Kajakfahrt am Oberlauf der Elbe in einem winterlichen Frühsommer in Deutschland

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Die Anreise.

Vorletzte Maiwoche 2013, also schon fast Sommer. Vier Mann, Erich, Erwin, Gerald und ich, brechen mit zwei Autos zur Paddeltour auf der oberen Elbe in Deutschland auf. Es soll gleich nach der Grenze Tschechien-Deutschland losgehen.
Dass es uns bei der Anfahrt trotz Navi gelingt, uns in Prag zu verfahren, soll eher unerwähnt bleiben. Ebenso, dass wir zunächst vergessen, uns für Tschechien an der Grenze ein Autobahnpickerl (Vignette) zu besorgen. Nicht erwähnt wird auch, dass unsere Navis in Tschechien Autobahnen anzeigen, die erst im Bau und daher noch nicht benützbar sind. Schon erwähnt zu werden verdient, dass der Wetterbericht für diese Wochen eine Katastrophe ist, weil die Wetterdienste einen Wintereinbruch melden. Keinesfalls soll aber darüber gesprochen werden, dass wir vorhaben, bei dieser Tour nicht in Zelten, sondern in Hotels zu übernachten, denn das würde der Tour ihre Abenteuerlichkeit nehmen, mit der ich später zu Hause prahlen will.
Wegen diverser meteorologischer und navigatorischer Widrigkeiten landen wir also statt um die Mittagszeit erst gegen drei Uhr in Schmilka, dem geplanten Ausgangspunkt unserer Reise. Weil Schmilka ein zwar romantischer, aber sehr kleiner Ort ist, der nur wenige Übernachtungsmöglichkeiten bietet, fahren wir 16 km weiter nach Königstein, wo wir bei der Touristeninformation eine sehr nette Dame treffen, die für unsere Unterbringung sorgt. Zehn Minuten später stehen wir schon an einer Rezeption und eine halbe Stunde nachher wandern wir bereits durch den Ort mit seiner imposanten Burg hoch oben. Bei Regen, selbstverständlich. Später essen wir in einem Gasthaus, diskutieren, wie üblich, über Gott und die Welt und begeben uns in unserem Hotel nach einem netten Glas Wein und einem Flirt mit der Kellnerin zur wohlverdienten Ruhe.

Der zweite Tag.

Nach kurzer Fahrt zurück nach Schmilka baue ich mein Faltboot zusammen und wir alle beladen unsere Gefährte für die Fahrt gen Nordwest. Außen- wie Innentemperatur ist 6°C. Entgegen allen Prognosen regnet es nicht. Zusammen mit einer anderen Paddlergruppe setzen wir an einer sehr guten Einsetzstelle ein. Die Stirn unserer beiden Autofahrer ist dabei immer noch sorgenvoll gekräuselt, weil der Parkplatz auf dem die Fahrzeuge stehen, ein Gebührenparkplatz ist, bei dem der Automat nur Karten für einen Tag ausgibt, wir aber vorhaben, eine Woche wegzubleiben. Probleme scheinen unvermeidlich.
Die ersten Kilometer mit unseren Booten gehen bei relativ großer Fließgeschwindigkeit der Elbe durch das schmale Tal der Sächsischen Schweiz, mit ihren wunderschönen Sandsteingebilden, romatisch an den Hängen aufgefädelten Dörfchen und den grasbewachsenen Ufern des Flusses.


 
Als Tagesziel peilen wir Dresden an. Wir machen hin und wieder Pausen, kommen aber ganz flott voran. Vom Wetter sind wir – nach all den Warnungen, die wir gehört haben – ziemlich begeistert. Es ist zwar kalt und wir haben Gegenwind, aber es ist trocken! Zwischendurch sehen wir blauen Himmel und manchmal scheint sogar die Sonne.
Wir begegnen Personenschiffen, hin und wieder der Paddlergruppe, die mit uns in Schmilka weggefahren ist und – was uns freut – keinem Motorboot.
Um die Mittagszeit herum machen wir Bekanntaschaft mit einer Gierfähre. Die mir bekannte Art dieser Wasserfahrzeuge ist jene, wo der Schiffskörper über eine Seilbrücke zurückgehalten wird, wenn der Strömungsdruck das Gefährt auf die andere Flussseite bewegt. In unserem Fall gibt es allerdings keine Seilbrücke, sondern das Rückhalteseil ist im Fluss, nahe dem rechten Ufer befestigt und wird mittels gelber Bojen nahe der Wasseroberfläche gehalten. Befindet sich die Fähre am linken Ufer, ist der Fluss so lange für Schiffe„gesperrt“, bis er duch die Rückfahrt der Fähre wieder freigegeben wird.

Die Gierfähre


 
Wir nähern uns der Fähre in der Sperrphase. Erwin hat bereits über dieses Fährmodell gelesen und erkennt als erster, knapp vor dem Befestigungspunkt des Seiles, was zu tun ist. Er kämpft sich einige Meter gegen die Flussrichtung ans rechte Ufer – wir wollten ohnehin eine Pause in einem Gasthaus auf dieser Seite des Flusses einlegen – und entkommt somit der „Falle“. Erich ist so weit vorne, dass er keine Chance mehr hat, als abzuwarten, bis die Fähre wieder kehrtmacht, um dann diesen Abschnitt zu passieren. Gerald und ich haben bereits die halbe Seillänge hinter uns und entschließen uns, Erwins Weg zu folgen. Dieser Entschluss bedeutet, gegen eine starke Strömung zu paddeln um uns Meter für Meter dem Ankerpunkt zu nähern um dann, an ihm vorbei, das rechte Ufer zu erreichen. Wir kämpfen uns – wie auf einem Laufband – mindestens fünfzehn Minuten mit aller Kraft Boje für Boje unserem Ziel entgegen. Einmal zurückschauen würde eine halbe Bojenabstandslänge kosten, einmal Schweiß abwischen, zwei Bojen. Also kein Zurückschauen, kein Schweiß abwischen, sondern nur paddeln. Und wie! In der Zwischenzeit hat die Fähre, ohne dass wir es bemerkt haben, den Fluss wieder freigegeben. Erich hat gleich danach am linken Ufer angelegt und Erwin hat, als er das wahrgenommen hat, die Fähre auf der zuvor noch freien rechten Seite passiert und hat dann zu Erich übergesetzt. Von dort beobachten die beiden in aller Ruhe unseren Kampf gegen die Strömung. Als Gerald und ich schließlich mit den beiden zusammentreffen, kommen wir uns zwar ein bisschen blöd vor, freuen uns aber über das erfolgreich absolvierte Paddel-Sondertraining.


Bei einem frugalen Mittagessen in einem Gasthaus besprechen wir Vor- und Nachteile von Fährentypen sowohl für die Besitzer als auch für Wassersportler. Dann stürzen wir uns wieder in die Fluten, um heute noch Dresden besichtigen zu können. Zwölf Kilometer vor der Stadt holt ein Angeber in einem federleichten Rennkajak unsere schwerbepackten Wanderboote ein und prognostiziert uns – so wie er uns einschätze – dass wir den Kanuclub hinter der alten Werft in Dresden in etwa zwei Stunden erreichen würden. Wir danken ihm für den Hinweis auf den Bootsclub. Sechzig Minuten später ziehen wir unsere Kajaks nach 41 Tageskilometern auf die Schotterbank unterhalb der Werft und machen uns zu Fuß auf die Suche nach dem Bootshaus des Dresdener Clubs. Ich frage nach dem Chef und werde an einen Herrn im hinteren Bereich des Clubgeländes, inmitten einer Schar von schwatzenden Buffetgästen, verwiesen. Als ich ihn anspreche und unser Begehr übermittle, nämlich unsere Kajaks hier übernachten zu lassen, wirkt er zunächst nicht begeistert, sagt aber, dass das gegen eine freiwillige Spende möglich wäre. Wir bekommen einen Platz zugewiesen, räumen unsere Bootssäcke mit den notwendigen Habseligkeiten für eine Übernachtung aus den Booten, verschließen die Luken und begeben uns auf die Suche nach dem „Alten Fährhaus“, wo Unterkunft versprochen wird. Wir finden diese gastfreundliche Pension nach vierhundert Metern Fußmarsch flussabwärts und können gleich unsere Zimmer beziehen.
Jetzt kommt der touristische Teil dieses Tages. Wir fragen uns zu einer Straßenbahnlinie durch, kratzen unser Kleingeld für die Tickets zusammen, das natürlich nicht reicht, ersuchen eine freundliche Dame uns einen Fünf-Euro-Schein zu wechseln, um die Differenz für eine legale Fahrt zusammenzubringen. Die Dame hat die entsprechenden Münzen, wir bedanken uns artig und fahren glücklich Richtung Zentrum. Dort besichtigen wir jedes alte Gebäude, dessen wir ansichtig werden und werfen auch einen Blick auf die Elbe, auf der wir morgen vorbeizukommen gedenken. 

 
Dann treibt uns der Hunger in ein Irish Pub. Dort wird heftig diskutiert, gescherzt, gegessen und natürlich auch getrunken. Ein Pub verlangt das.
Müde gehen wir zurück zur Straßenbahn. Auf der Rückfahrt gibt es einen ungeplanten Aufenthalt wegen einer Beinahe-Panne, aber die Fahrerin schafft es, unsere Zielhaltestelle mit nur geringfügiger Verspätung zu erreichen. Nach kurzem Fußmarsch zu unserem Quartier geht es ins Bett.

Der dritte Tag.

Frühstück ist um halb acht. Es schmeckt. Dann geht’s zum Club. Ich rüttle an der Tür: verschlossen. Gerald rüttelt nicht, sondern schiebt und öffnet damit die Schiebetür. Ich schäme mich.
Heute ist der Klubhauschef sehr freundlich, fragt von wo wir herkommen und unterhält sich ganz entspannt mit uns. Wahrscheinlich war er gestern nicht gut drauf oder ich habe bei der Anfrage ganz einfach keinen guten Eindruck gemacht.
Um etwa zehn Uhr legen wir ab. Es ist kalt, dicht bewölkt und wir haben Gegenwind. Wir wickeln uns in unsere Anoraks und paddeln mit gefühllosen Fingerkuppen. Gerald, Erwin und Erich fahren heute mit Spritzdecke und behaupten, dass es darunter mollig warm wäre. Bei mir ist es nur warm, wenn ich mich bewege. Deshalb ersuche ich um möglichst kurze Pinkelpausen.
Nach zehn Kilometern kommen wir zum Stadtzentrum, das wir gestern besucht haben. Dresden mit seinen vielen Brücken ist auch vom Fluss her gesehen reizvoll. Danach erleben wir noch weitere zehn Kilometer Dresden hinter einer breiten Auenlandschaft. Seit wir die Hochwassermarken an der Elbe gesehen haben, wissen wir wofür diese Auen gut sind. Immer wieder kommen uns schmucke, alten Dampfern nachempfundene Schiffe entgegen und wir freuen uns, dass das Wetter zwar keine Geschenke für uns bereithält, aber wenigstens trocken ist. Bei Flusskilometer 81,5 finden wir nach 36 Tageskilometern die Anlegestelle des Bootsclubs Meißen. Durch den hohen Wasserstand ist sie ganz hinter Gras versteckt und ist schlammig.
Das Tor zum Bootshaus ist verschlossen, aber auf einem Schild sind Informationen und Telefonnummern angegeben. Wir werden an „Siggis Sporthaus“ verwiesen, wo uns eine freundliche Dame gegen Nennung von Namen und Heimatadresse, zwecks Eintragung in ein Buch, den Schlüssel übergibt.
Wir beschließen, den nächsten Tag in Meißen zu verbringen. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen spricht der Wetterbericht von ganztägiger Nässe und Sturm, zum anderen muss Erwin zu einem Begräbnis. Zu diesem Zweck fährt er mit der Bahn nach Schmilka, von dort mit dem Auto über Prag zurück nach Hause. Unmittelbar nach der Verabschiedung am nächsten Tag hat er vor, sich wieder ins Auto zu setzen, um am Abend zurück in Meißen zu sein. Erwin verschwindet daher gleich in Richtung Bahnhof. Erich und Gerald suchen derweilen eine Unterkunft. Ich bleibe bei den Booten. Als sie zurückkommen, haben sie bereits die Schlüssel unserer Zimmer im Hotel „Ross“, gleich gegenüber dem Bahnhof, in Händen. Mit einem freiwilligen Mitarbeiter des Bootsclubs, der inzwischen aufgetaucht ist, vereinbaren wir, dass wir am übernächsten Tag, einem Sonntag, wieder vor dem Bootsclub stehen wollen, um die Fahrt fortzusetzen. Dann geht es mit unseren Bootssäcken ab zur Herberge. Ab hier spielen wir einen Tag lang Normaltouristen. Wir schlendern in der kleinen Stadt umher, essen bei einem ausgezeichneten Italiener und vereinbaren einen Zeitpunkt für das gemeinsame Frühstück am nächsten Morgen. Vorher vergewissern wir uns noch in einem Telefonat, dass Erwin gut mit dem Auto von Schmilka weggekommen ist.

Der vierte Tag.

Pünktlich erscheinen wir verbliebenen Drei im Speisesaal. Beim Frühstücksbuffet teilt uns Erich mit, dass er die Idee geboren hätte, heute auch sein Auto von Schmilka nach Meißen nachzuholen. Das tut aber einer gemeinsamen Stadtbesichtigung keinen Abbruch. Nach den Schultern und Armen an den Vortagen sind heute die Beine dran. Ironischerweise hat der Wetterbericht von gestern für heute völlig danebengelegen. Eigentlich hätten wir entgegen aller Voraussagen ideales Paddelwetter, das wir aber nicht nutzen können, weil Erwin noch fehlt.
Weil Gerald keine Zahncreme mehr hat, scannen wir die Innenstadt nach einem entsprechenden Geschäft. Es dauert seine Zeit, bis uns ein Drogeriemarkt ins Auge springt, der Gerald seine Dentalpflege sichert. Dann beginnt das eigentliche Touristenleben. 


 
 
Wir marschieren auf die Burg, die zusammen mit dem großartigen gotischen Dom den Berg dominiert, besuchen den Dom, durchqueren die Stadt ein weiteres Mal auf der Suche nach der Porzellanmanufaktur mit angeschlossenem Museum. Beides ist sehenswert und informativ. Nachher giert Erich nach einer Konditorei. Eine bestimmte hat er schon ins Auge gefasst. Wir essen etwas Süßes und dann kriegt er – Wintereinbruch hin oder her – seinen Rieseneisbecher mit Früchten. Der Becher ist so dimensioniert, dass er eine komplette Kleinfamilie ernähren könnte. Nach dieser Stärkung fühlt er sich in der Lage, in den Zug in Richtung Auto zu steigen, während Gerald und ich nach einer Kurzrast im Hotel uns auf die Suche nach einem Weinlokal machen, um einen Schoppen sächsischen Weines zu verkosten. Wir werden bald fündig, genießen den Wein bei einem gemütlichen Plausch, zahlen den geschmalzenen Preis und warten dann beim Abendessen auf Erich. Der Hotelbesitzer hat sich für uns ein Spezialmenü ausgedacht: Spargelcremsuppe, Schnitzel mit Rösti und Spargel nicht zu knapp sowie Sauce Hollandaise. Zum Ausklang gibt es ein Parfeit. Sport ist schon was Schönes.
Bereits gegen neun Uhr abends ist Erwin wieder aus Österreich zurück. Er wird mit der gleichen Menüfolge abgefüttert wie wir, während wir uns alle das Fußballspiel Bayern gegen Dortmund, das in London ausgetragen wird, anschauen. Die Zeit ist gut investiert, wir sehen ein spannendes Match. Nach der gemeinsamen Vereinbarung der Frühstückszeit geht’s ins Bett.
Erwähnt sollte vielleicht noch werden, dass es weder für Erwin, noch für Erich Strafzahlungen wegen Parkzeitüberschreitung beim Gebührenparkplatz in Schmilka gegeben hat.

Der fünfte Tag.

Als beim Aufstehen der Regen an die Fensterscheiben klopft und der Wind die Baumkronen zerzaust, weiß ich noch nicht, dass dieser fünfte Tag gleichzeitig unser letzter auf dieser Reise sein wird. Erst nach dem Frühstück, auf dem Weg zum Bootshaus, stellen wir fest, dass das heutige Wetter nicht exakt jenes ist, was Paddeln so attraktiv macht. Den Rest gibt uns aber, als wir beim Bootshaus angelangt, Klaus aus dem Allgäu treffen, einen Wildwasserpaddler, der gerade Dienst im Bootshaus macht und uns mit seinem Wetterbericht aus dem Internet die letzte Hoffnung auf eine Änderung der nassen und windigen Verhältnisse für heute und morgen nimmt. Nach kurzer Beratung erfolgt eine demokratische Abstimmung, die eine Mehrheit für den Abbruch unserer Expedition ins unbekannte Sachsenland ergibt.
Der Rest heißt Abbau meines Klepper-Faltbootes, Verstauen der Kajaks auf den Autodächern, Verabschiedung von Klaus und einem Kollegen, der in der Zwischenzeit aufgetaucht ist und Heimfahrt. Das Navi schickt uns diesmal über die Autobahn Hof-Nürnberg-Regensburg-Passau zurück nach Linz. Weil wir den Tag trotz Dauerregens nützen wollen, besuchen wir auf der Heimfahrt noch Plauen, wo wir unter dem Rathaus mit seiner wunderschönen Fassade ein Kellerlokal finden, in dem wir uns mit dem Genuss einer sächsisch-kulinarischen Spezialität von Deutschland verabschieden und den weiteren Weg nach Linz einschlagen.
Meine Frau, die daheim immer das Wetter bei uns da oben verfolgt hat, wundert sich nicht über meine vorzeitige Ankunft. Sie hätte mich schon früher erwartet.



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Nachtrag

Es hat noch tagelang weitergeregnet. Der Starkregen, der sich über ganz Mitteleuropa ergossen hat, hat nicht nur die Pegelstände der Elbe mit ihren Zuflüssen, sondern auch die der Donau auf Höhen Steigen lassen, die das bisher höchste verbürgte Hochwasser von 1501 noch übertroffen haben.

Hochwasser 2013

Die Tür zu unserem Bootshaus am 3. Juni 2013