20110801

Städtetourismus per Kajak

 Bayern, wo die Donau noch fließt




Wie im Vorjahr überredet Erwin auch heuer Erich, Gerald und mich zu einer gemeinsamen Kajak-Tour. Diesmal soll es auf der Donau durch Bayern und dann nach Linz gehen. Als der Abfahrtstermin naht, naht mit ihm ein skandinavisches Tief, das uns zwei Sommertage mit anschließenden Wintertemperaturen verspricht. Wir verkürzen in unserer Planung die Fahrt auf zwei Tage und eine Mini-Strecke von Straubing bis Vilshofen. Bevor es losgeht verabschiedet sich ausgerechnet der Initiator des Unternehmens, Erwin, ins Krankenhaus. Es wird also statt einer langen Vier-, eine kurze Dreimännerfahrt.

Es geht los

Gegen Mittag brechen wir mit zwei Autos nach Vilshofen auf. Dort parkt Erich seinen Wagen am Gelände des örtlichen Ruderclubs und steigt mit Gerald in unser Fahrzeug um. Ein Citroen C5 Kombi ist ein großes Gefährt. Wenn vier Leute drinnen sitzen, zwei Boote auf dem Dach, ein Faltboot im Kofferraum und die Ausrüstung für eine Drei-Mann-Wanderfahrt im Fahrzeug verstaut sind, wirkt es etwas mickrig. Die vierte Person an Bord ist übrigens meine Frau Gertrude, die die Aufgabe übernommen hat, uns in Straubing auszuwildern und das Auto zurück nach Hause zu bringen.



Straubing

Gertrude überlässt uns am Gelände der gastfreundlichen DKV-Kanustation Straubing erbarmungslos unserem Schicksal. Wir packen unsere Ausrüstung in die Boote und legen sie auf einer Ecke des Rasens schlafen. Dann bewegen wir uns mit dem Notwendigsten in unseren Bootssäcken in Richtung Stadtzentrum. Trotz eines in der Stadt tobenden Jazz-Festivals finden wir freie Hotelzimmer. Frisch geduscht verwandeln wir uns augenblicklich in Touristen. Wir grasen die Stadt ab, bewundern den in der Mitte des Hauptplatzes stehenden Rathausturm, essen in einem Restaurant namens „Zum Geiss“, gleichen unseren Flüssigkeitspegel mit Bier aus und schlürfen am Hauptplatz große Eisbecher leer. Dann laufen wir zurück ins Hotel und ich erreiche, heftig gegen den enormen Widerstand einer Zweidrittelmehrheit argumentierend, dass am nächsten Morgen bereits um sieben Uhr gefrühstückt wird.

Dieses Frühstück findet tatsächlich zur vereinbarten Zeit statt, und schon gegen halb neun schleppen wir die Boote über den Damm an die gut gepflegte Stelle zum Einbooten. In der Morgenkühle beginnt unser Weg nach Osten. Erich ist Paddelnovize, was man aber nicht merkt. Er hat ein schnelles Boot und lässt sich schon von Anfang an bei der Schlagzahl nicht lumpen.





Wir ziehen an Reibersdorf vorbei, bewundern links die schöne Wallfahrtskirche am Bogenberg, unterfahren einige Brücken und bekommen schon wieder Hunger, als die Kirchturmspitze des Ortes Mariaposching links hinter einem Hochwasserdamm auftaucht. Erich und Gerald sind der Meinung, dass dort, wo ein Kirchturm ist, auch ein Kirchenwirt zu finden sei. Kein Rauch ohne Feuer. Wir beschließen, diese Arbeitshypothese zu verifizieren und ziehen die Boote auf eine Schotterbank. Es geht über eine Unkrautwiese in Richtung Damm. Dieser wird erklommen und was liegt direkt unter uns? Erraten! Der Kirchenwirt. Wir genehmigen uns sofort eine Apfelschorle. Dann wird das Essen bestellt, was sich als nicht ganz unschwierig erweist. Zweimal erfahren wir nach Auswahl gemäß dem Angebot der Speisekarte „Ham wir nicht“. Aber dann klappt es und wir verlassen den kleinen Ort gesättigt und zufrieden.

Deggendorf

Unser Weg führt uns – durch kleine Schwimmpausen an romantischen, einsamen Schotterbänken unterbrochen – nach Deggendorf, wo wir beim „Deggendorfer Ruderclub von 1876“ anlanden. Dort findet im piekfeinen Clubrestaurant eine Hochzeit statt. Wir halten uns sehr fern, weil wir enorm underdressed sind. Junge, gastfreundliche Clubfunktionäre erlauben uns, unsere Boote auf einem Rasenstück unterzubringen. Noch während wir das tun, fällt eine Horde deutscher PaddelkollegInnen auf dem Gelände ein. Wo vorher unsere drei einsamen Kajaks lagen, sieht es jetzt aus wie auf einer Bootswerft.



Erich hat ein neues Zelt. Er würde es gerne mal einweihen. Im Hinblick auf die Hochzeitsgesellschaft und den Massenbetrieb lässt er sich aber ziemlich schnell zu einem Hotelaufenthalt überreden. Wir checken ein, und wie am Vortag verwandeln wir uns nach dem Duschen blitzschnell in Touristen. Als solche fallen wir selbstverständlich über die Altstadt her. Wir besichtigen den in der Mitte des Hauptplatzes stehenden Rathausturm (Sind wir im Kreis gefahren?), durchwandern die Altstadt Länge mal Breite, schlagen uns bei einem Griechen den Magen voll, achten auf einen geregelten Flüssigkeitshaushalt und gehen dann als brave und solide Natursportler früh ins Bett. Dieses verlassen wir nur deshalb, weil um sieben Uhr ein opulentes Frühstück ruft. Und dann ruft schon wieder die See – bzw. etwas bescheidener – der Fluss. Wir stechen in diesen und fahren in Badeetappen (Erichs Motto: „Der Weg ist das Ziel“) weiter in Richtung Auto.



Unser Donaustrom bietet dabei alles, was ein Fluss nur bieten kann. Mäander, breite Schotterbänke, romantische Dörfchen hinter Hochwasserdämmen, warmes und sauberes Badewasser, schöne Fließgeschwindigkeit. Fünf Kilometer vor Vilshofen setze ich mich gegenüber dem Örtchen Pleinting von unserer Kleinstgruppe ab, um meinen Freunden noch die schöne Landschaft zu gönnen, während ich in Vilshofen bereits mein Faltboot zerlege und verpacke. Die beiden bewundern aber nicht die schöne Landschaft, sondern beschließen die Fahrt mit einem Besuch des Dorfes Pleinting. Es dürstet sie nach Kaffee. Zunächst ist ihnen kein Erfolg beschieden, sondern nur Auskünfte wie „Heute geschlossen“, „Vorübergehend geschlossen“ und „Heute Ruhetag“. Irgendwie werden sie dann doch fündig, möbeln ihren Blutdruck auf und tauchen zwanzig Minuten nachdem ich meine Verpackungsarbeiten erledigt habe, bei der Anlegestelle des „Ruderclub Vilshofen“ auf.



Vilshofen

Im Schweiße unseres Angesichts packen wir das Auto voll, wuchten zwei Kajaks auf die Gepäckträger, verzurren das Ganze verkehrstauglich und fahren dann auf vier Autorädern, ins Stadtzentrum. Gerald macht sich auf Hotel-, Erich auf Parkplatzsuche. Beides wird gefunden und schon bald sitzt jeder von uns, sauber geduscht, vor einem großen Bierglas. Dann fällt Sturm ein. Mehrere Kellnerinnen und Kellner evakuieren den Gastgarten. Auch Topfpflanzen, Tischtücher und Schirme werden gerettet. Im Schutz des Restaurants erleben wir, was wir im Boot nicht gerne erlebt hätten: Der Wetterbericht war zutreffend.

Weil auch das größte Unwetter mal vorbei ist, war es uns auch hier in Vilshofen vergönnt, unserem Touristentrieb nachzugeben. Von einem plötzlichen religiösen Eifer befallen, beschließen Gerald und Erich, zu jeder hier verfügbaren Kirche zu wallfahren. Pech, dass die Kirche der Vilshofner Abtei ganz oben auf einem Hügel liegt. Ich kann die beiden nicht dazu überreden, sich auf die leiblichen Genüsse zu verlegen. Ihrem Argument, dass durch die Bootsfahrt unsere unteren Extremitäten stark unter-trainiert sind, habe ich nichts entgegenzusetzen und so beschließen wir diesen Tag als Bergsteiger. Die Kirche erweist sich als schön. Ich entdecke am Zifferblatt einer Uhr auf einem der beiden Türme der Abtei die Tierkreiszeichen (!). Irgend ein esoterischer Uhrmacher dürfte sich hier ausgetobt haben.





Beim Abstieg besuchen wir kurz den Friedhof des Klosters. Bezeichnenderweise gibt es beim Friedhofsgatter nur außen eine Türschnalle. Ein Friedhof ist ja irgendwie eine Einbahnstraße. Wir versuchen die Bedeutung der einzelnen Grabkreuzaufschriften der ehemaligen Klosterinsassen zu erraten und entwickeln dazu verwegene Theorien, die wir auch auf dem Marsch zum italienischen Eissalon weiterspinnen. 

Nach Überquerung des Flusses Vils, fällt uns ein riesiges Fassadengemälde auf, das einen gewissen Ritter Tuschl würdigt, der einen Schild mit der Aufschrift „Alain“ trägt. Es steht auch eine Jahreszahl dabei: 1376.
Im Eissalon angekommen, überlassen wir uns süßen Versuchungen. Dann machen wir uns auf den Weg zurück ins Hotel um uns noch ein kleines alkoholisches Getränk zu genehmigen und der Kellnerin und ihrem Chef mit der Bitte um Auskunft über jenen Ritter Tuschl peinliche je 30 Sekunden zu bereiten. Die zwei haben offensichtlich im Heimatkundeunterricht nicht aufgepasst. Bevor wir ins Bett verschwinden fängt uns dann der Chef nach einer Blitzrecherche aber doch noch ab und erzählt uns die Mär vom Treiben des Ritter Tuschl. Sollte diese jemanden interessieren, Wikipedia gibt Auskunft :-)

Passau

Da wir auf dem Rückweg ohnehin durch Passau müssen, schieben wir noch eine Kurzbesichtigung dieser Stadt ein. Weil wir nicht mit dem Boot angereist sind, gilt diese Besichtigung natürlich nur sehr eingeschränkt als Teil der Kajak-Reise. Obwohl: die Boote haben wir ja dabei! Am und im Auto zwar, aber immerhin.
Erich setzt im Stadtgebiet von Passau noch ein bayrisches Weißwurst-Abschiedsessen durch, und dann geht’s heim. Das Ende einer kulinarisch-kulturellen Donau-Städte-Kreuzfahrt mittels Muskelkraft.

Schlussbemerkung

Es versteht sich fast von selbst, dass wir unserem abgängigen vierten Mann, Erwin, täglich abends telefonisch Bericht über unsere Erlebnisse, Erfahrungen und Heldentaten erstattet haben. Als Expeditionsplaner hat er Anspruch darauf.
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Nachtrag von Erich nach dem Lesen dieses Berichtes

"... wobei mir nicht verborgen blieb, welche "elementaren" Ereignisse nicht einmal am Rande erwähnt werden. Aber diese wurden ohnehin auf Fotos für die Nachwelt gesichert. Zum Beispiel die hemmungslose Hingabe des Autors an die Genusssucht. Er ist auf diesen Fotos hinter vollen Eisbechern und halbleeren Bierkrügen eindeutig erkennbar."

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