20110801

Städtetourismus per Kajak

 Bayern, wo die Donau noch fließt




Wie im Vorjahr überredet Erwin auch heuer Erich, Gerald und mich zu einer gemeinsamen Kajak-Tour. Diesmal soll es auf der Donau durch Bayern und dann nach Linz gehen. Als der Abfahrtstermin naht, naht mit ihm ein skandinavisches Tief, das uns zwei Sommertage mit anschließenden Wintertemperaturen verspricht. Wir verkürzen in unserer Planung die Fahrt auf zwei Tage und eine Mini-Strecke von Straubing bis Vilshofen. Bevor es losgeht verabschiedet sich ausgerechnet der Initiator des Unternehmens, Erwin, ins Krankenhaus. Es wird also statt einer langen Vier-, eine kurze Dreimännerfahrt.

Es geht los

Gegen Mittag brechen wir mit zwei Autos nach Vilshofen auf. Dort parkt Erich seinen Wagen am Gelände des örtlichen Ruderclubs und steigt mit Gerald in unser Fahrzeug um. Ein Citroen C5 Kombi ist ein großes Gefährt. Wenn vier Leute drinnen sitzen, zwei Boote auf dem Dach, ein Faltboot im Kofferraum und die Ausrüstung für eine Drei-Mann-Wanderfahrt im Fahrzeug verstaut sind, wirkt es etwas mickrig. Die vierte Person an Bord ist übrigens meine Frau Gertrude, die die Aufgabe übernommen hat, uns in Straubing auszuwildern und das Auto zurück nach Hause zu bringen.



Straubing

Gertrude überlässt uns am Gelände der gastfreundlichen DKV-Kanustation Straubing erbarmungslos unserem Schicksal. Wir packen unsere Ausrüstung in die Boote und legen sie auf einer Ecke des Rasens schlafen. Dann bewegen wir uns mit dem Notwendigsten in unseren Bootssäcken in Richtung Stadtzentrum. Trotz eines in der Stadt tobenden Jazz-Festivals finden wir freie Hotelzimmer. Frisch geduscht verwandeln wir uns augenblicklich in Touristen. Wir grasen die Stadt ab, bewundern den in der Mitte des Hauptplatzes stehenden Rathausturm, essen in einem Restaurant namens „Zum Geiss“, gleichen unseren Flüssigkeitspegel mit Bier aus und schlürfen am Hauptplatz große Eisbecher leer. Dann laufen wir zurück ins Hotel und ich erreiche, heftig gegen den enormen Widerstand einer Zweidrittelmehrheit argumentierend, dass am nächsten Morgen bereits um sieben Uhr gefrühstückt wird.

Dieses Frühstück findet tatsächlich zur vereinbarten Zeit statt, und schon gegen halb neun schleppen wir die Boote über den Damm an die gut gepflegte Stelle zum Einbooten. In der Morgenkühle beginnt unser Weg nach Osten. Erich ist Paddelnovize, was man aber nicht merkt. Er hat ein schnelles Boot und lässt sich schon von Anfang an bei der Schlagzahl nicht lumpen.





Wir ziehen an Reibersdorf vorbei, bewundern links die schöne Wallfahrtskirche am Bogenberg, unterfahren einige Brücken und bekommen schon wieder Hunger, als die Kirchturmspitze des Ortes Mariaposching links hinter einem Hochwasserdamm auftaucht. Erich und Gerald sind der Meinung, dass dort, wo ein Kirchturm ist, auch ein Kirchenwirt zu finden sei. Kein Rauch ohne Feuer. Wir beschließen, diese Arbeitshypothese zu verifizieren und ziehen die Boote auf eine Schotterbank. Es geht über eine Unkrautwiese in Richtung Damm. Dieser wird erklommen und was liegt direkt unter uns? Erraten! Der Kirchenwirt. Wir genehmigen uns sofort eine Apfelschorle. Dann wird das Essen bestellt, was sich als nicht ganz unschwierig erweist. Zweimal erfahren wir nach Auswahl gemäß dem Angebot der Speisekarte „Ham wir nicht“. Aber dann klappt es und wir verlassen den kleinen Ort gesättigt und zufrieden.

Deggendorf

Unser Weg führt uns – durch kleine Schwimmpausen an romantischen, einsamen Schotterbänken unterbrochen – nach Deggendorf, wo wir beim „Deggendorfer Ruderclub von 1876“ anlanden. Dort findet im piekfeinen Clubrestaurant eine Hochzeit statt. Wir halten uns sehr fern, weil wir enorm underdressed sind. Junge, gastfreundliche Clubfunktionäre erlauben uns, unsere Boote auf einem Rasenstück unterzubringen. Noch während wir das tun, fällt eine Horde deutscher PaddelkollegInnen auf dem Gelände ein. Wo vorher unsere drei einsamen Kajaks lagen, sieht es jetzt aus wie auf einer Bootswerft.



Erich hat ein neues Zelt. Er würde es gerne mal einweihen. Im Hinblick auf die Hochzeitsgesellschaft und den Massenbetrieb lässt er sich aber ziemlich schnell zu einem Hotelaufenthalt überreden. Wir checken ein, und wie am Vortag verwandeln wir uns nach dem Duschen blitzschnell in Touristen. Als solche fallen wir selbstverständlich über die Altstadt her. Wir besichtigen den in der Mitte des Hauptplatzes stehenden Rathausturm (Sind wir im Kreis gefahren?), durchwandern die Altstadt Länge mal Breite, schlagen uns bei einem Griechen den Magen voll, achten auf einen geregelten Flüssigkeitshaushalt und gehen dann als brave und solide Natursportler früh ins Bett. Dieses verlassen wir nur deshalb, weil um sieben Uhr ein opulentes Frühstück ruft. Und dann ruft schon wieder die See – bzw. etwas bescheidener – der Fluss. Wir stechen in diesen und fahren in Badeetappen (Erichs Motto: „Der Weg ist das Ziel“) weiter in Richtung Auto.



Unser Donaustrom bietet dabei alles, was ein Fluss nur bieten kann. Mäander, breite Schotterbänke, romantische Dörfchen hinter Hochwasserdämmen, warmes und sauberes Badewasser, schöne Fließgeschwindigkeit. Fünf Kilometer vor Vilshofen setze ich mich gegenüber dem Örtchen Pleinting von unserer Kleinstgruppe ab, um meinen Freunden noch die schöne Landschaft zu gönnen, während ich in Vilshofen bereits mein Faltboot zerlege und verpacke. Die beiden bewundern aber nicht die schöne Landschaft, sondern beschließen die Fahrt mit einem Besuch des Dorfes Pleinting. Es dürstet sie nach Kaffee. Zunächst ist ihnen kein Erfolg beschieden, sondern nur Auskünfte wie „Heute geschlossen“, „Vorübergehend geschlossen“ und „Heute Ruhetag“. Irgendwie werden sie dann doch fündig, möbeln ihren Blutdruck auf und tauchen zwanzig Minuten nachdem ich meine Verpackungsarbeiten erledigt habe, bei der Anlegestelle des „Ruderclub Vilshofen“ auf.



Vilshofen

Im Schweiße unseres Angesichts packen wir das Auto voll, wuchten zwei Kajaks auf die Gepäckträger, verzurren das Ganze verkehrstauglich und fahren dann auf vier Autorädern, ins Stadtzentrum. Gerald macht sich auf Hotel-, Erich auf Parkplatzsuche. Beides wird gefunden und schon bald sitzt jeder von uns, sauber geduscht, vor einem großen Bierglas. Dann fällt Sturm ein. Mehrere Kellnerinnen und Kellner evakuieren den Gastgarten. Auch Topfpflanzen, Tischtücher und Schirme werden gerettet. Im Schutz des Restaurants erleben wir, was wir im Boot nicht gerne erlebt hätten: Der Wetterbericht war zutreffend.

Weil auch das größte Unwetter mal vorbei ist, war es uns auch hier in Vilshofen vergönnt, unserem Touristentrieb nachzugeben. Von einem plötzlichen religiösen Eifer befallen, beschließen Gerald und Erich, zu jeder hier verfügbaren Kirche zu wallfahren. Pech, dass die Kirche der Vilshofner Abtei ganz oben auf einem Hügel liegt. Ich kann die beiden nicht dazu überreden, sich auf die leiblichen Genüsse zu verlegen. Ihrem Argument, dass durch die Bootsfahrt unsere unteren Extremitäten stark unter-trainiert sind, habe ich nichts entgegenzusetzen und so beschließen wir diesen Tag als Bergsteiger. Die Kirche erweist sich als schön. Ich entdecke am Zifferblatt einer Uhr auf einem der beiden Türme der Abtei die Tierkreiszeichen (!). Irgend ein esoterischer Uhrmacher dürfte sich hier ausgetobt haben.





Beim Abstieg besuchen wir kurz den Friedhof des Klosters. Bezeichnenderweise gibt es beim Friedhofsgatter nur außen eine Türschnalle. Ein Friedhof ist ja irgendwie eine Einbahnstraße. Wir versuchen die Bedeutung der einzelnen Grabkreuzaufschriften der ehemaligen Klosterinsassen zu erraten und entwickeln dazu verwegene Theorien, die wir auch auf dem Marsch zum italienischen Eissalon weiterspinnen. 

Nach Überquerung des Flusses Vils, fällt uns ein riesiges Fassadengemälde auf, das einen gewissen Ritter Tuschl würdigt, der einen Schild mit der Aufschrift „Alain“ trägt. Es steht auch eine Jahreszahl dabei: 1376.
Im Eissalon angekommen, überlassen wir uns süßen Versuchungen. Dann machen wir uns auf den Weg zurück ins Hotel um uns noch ein kleines alkoholisches Getränk zu genehmigen und der Kellnerin und ihrem Chef mit der Bitte um Auskunft über jenen Ritter Tuschl peinliche je 30 Sekunden zu bereiten. Die zwei haben offensichtlich im Heimatkundeunterricht nicht aufgepasst. Bevor wir ins Bett verschwinden fängt uns dann der Chef nach einer Blitzrecherche aber doch noch ab und erzählt uns die Mär vom Treiben des Ritter Tuschl. Sollte diese jemanden interessieren, Wikipedia gibt Auskunft :-)

Passau

Da wir auf dem Rückweg ohnehin durch Passau müssen, schieben wir noch eine Kurzbesichtigung dieser Stadt ein. Weil wir nicht mit dem Boot angereist sind, gilt diese Besichtigung natürlich nur sehr eingeschränkt als Teil der Kajak-Reise. Obwohl: die Boote haben wir ja dabei! Am und im Auto zwar, aber immerhin.
Erich setzt im Stadtgebiet von Passau noch ein bayrisches Weißwurst-Abschiedsessen durch, und dann geht’s heim. Das Ende einer kulinarisch-kulturellen Donau-Städte-Kreuzfahrt mittels Muskelkraft.

Schlussbemerkung

Es versteht sich fast von selbst, dass wir unserem abgängigen vierten Mann, Erwin, täglich abends telefonisch Bericht über unsere Erlebnisse, Erfahrungen und Heldentaten erstattet haben. Als Expeditionsplaner hat er Anspruch darauf.
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Nachtrag von Erich nach dem Lesen dieses Berichtes

"... wobei mir nicht verborgen blieb, welche "elementaren" Ereignisse nicht einmal am Rande erwähnt werden. Aber diese wurden ohnehin auf Fotos für die Nachwelt gesichert. Zum Beispiel die hemmungslose Hingabe des Autors an die Genusssucht. Er ist auf diesen Fotos hinter vollen Eisbechern und halbleeren Bierkrügen eindeutig erkennbar."

20110528

Eine Stadtbesichtigung und fünf Flusswandertage auf der Donau

Paddeln von Regensburg nach Wilhering

Regensburg mit Steinerner Brücke

Will man mit dem Boot von Regensburg nach Linz fahren, muss man zuerst mal mit dem Boot nach Regensburg kommen. Es gelingt mir, meine Frau für ein Wochenende in dieser Stadt zu begeistern und schon habe ich das Transportproblem gelöst. Ein paar Tage später sind wir an einem Freitag bei strahlendem Wetter mit meinem zerlegten Faltboot im Kofferraum unterwegs nach Westen. Problemlos finden wir ein Zimmer in einem Hotel im Regensburger Gewerbegebiet und dann machen wir uns auf den Weg in die Altstadt. Wir durchstreifen Gässchen für Gässchen, nehmen hier und dort einen Happen zu uns, besichtigen die Steinerne Brücke, die schon die Kreuzfahrer unter Ludwig VII. für die Donauüberquerung benützt haben, und suchen darunter nach dem im Lied besungenen Strudel, den es aber nicht mehr gibt. Einem hervorragenden Abendessen in unserem Hotel folgt eine ruhige Nacht mit einem weiteren Tag der Erforschung der Stadt. Heute sind auf jedem Platz und in jeder Gasse in Gruppen auftretende ältere Amerikaner zu sehen, die Schilder mit den Namen ihrer Donau-Kreuzfahrtschiffe umgehängt haben, auf dass sie nicht verloren gehen. Dazwischen bewegen wir uns als Zweiergruppe von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit, bis auch der Samstag sich dem Abend zuneigt. Nach einem Abendessen beim Chinesen, folgt der Morgen meiner Abfahrt.

Sonntag:

Zuerst stellen wir das Navigationsgerät unseres Autos auf eine Adresse ein, die wir am Vortag zu Fuß ausfindig gemacht haben und die mich zum Platz des Einbootens bringen soll. Wer auch mal mit dem Kajak von Regensburg wegfahren möchte kriegt nun einen wichtigen Tipp: Mit der Adresse „93059 Regensburg, Weinweg 11“ findet jedes Navi die Stelle, von der man in den Winzerweg einbiegen kann, um auf einer, für Anlieger freien, schmalen Straße zum Kraftwerk unter der Autobahnbrücke zu kommen. Hier baue ich auf einer Wiese mein Falt-Kajak zusammen, küsse meine Frau und stürze mich ins Vergnügen. Jedenfalls fast. Als ich an der Kordel zur Öffnung der Bootsgasse ziehen will, sehe ich ein Schild „Bootsgasse wegen Niedrigwasser gesperrt“. Also Essig mit dem spannenden Start. Boot auf Bootswagen, über Rampe entlang der Bootsgasse das Wehr umfahren, Bootswagen wieder auf das Kajak geschnallt, und dann geht’s wirklich los. Meine Frau winkt noch kurz, freut sich, dass sie nicht mit dem Boot nach Linz muss, sondern ein Auto hat, und schon trennen sich unsere Wege für ein paar Tage. Es ist 10.30 Uhr.

Mein Start in Regensburg war bei Donau-Stromkilometer 2379,7 (so viele Kilometer sind es bis zum Schwarzen Meer). Ich unterfahre Regensburgs Brücken und Stege, unter anderem die völlig strudellose, berühmte Steinerne Brücke, achte darauf, im Stadtgebiet nicht von einem der zahlreichen Kreuzfahrtschiffe gerammt zu werden und bewege mich an der weit oben thronenden Walhalla vorbei zunächst auf das Kraftwerk Geisling zu.

Walhalla

Die Donau ist hier wegen des Staus sehr breit. Leider ist Wochenende, was bedeutet, dass nicht nur Segelboote, sondern auch jede Menge Motorboote und Wasser-Motorräder mit irrer Geschwindigkeit unterwegs sind. Ich finde die Umtragestelle links, aber auf der anderen Seite des Schleusenarms. Hier finde ich hervorragende Bootswagen in einer „Garage“. Dann schiebe ich mein schwer beladenes Fahrzeug – na ja, Zelt, Schlafsack, Proviant, Reservekleidung, Wasservorrat etc. - nun erstmals auf dieser Reise über Land bis unterhalb des Kraftwerks. Nach dem Einsetzen merke ich, dass hier kaum mehr Strömung ist als oberhalb. Die Donau ist hier wieder schmal und mäandert. Die nächste Strecke brennt die Sonne herunter und ich genieße die Landschaft. Am Nachmittag beginnt sich das Wetter aber zu ändern. Die Donau ist hier unten immer noch schön blau, aber der Himmel über mir wird schwarz und schwärzer. Ich hätte zwar noch vorgehabt ein schönes Stückchen zu fahren, liebe es aber,das eher im Trockenen zu tun. Als der Himmel noch dunkler wird, beschließe ich bei Stromkilometer 2351 mein Zelt aufzuschlagen. Ich entdecke linksseitig eine geeignete Stelle und eine halbe Stunde später trommelt schon der Regen auf mein Dach und der Wind rüttelt meine Zeltwände durch. Im Inneren ist es aber warm und gemütlich. Eine Stunde später ist der Spuk vorüber, aber ich habe mich heute schon auf Feierabend eingerichtet und lasse den lieben Gott einen guten Mann sein.


Montag:

Am nächsten Tag geht es früh los. Nach Katzenwäsche kommt Zeltabbau und Bootsbepackung. Dann die ersten Paddelschläge. 22 km weiter versperrt mir das Kraftwerk Straubing den Weg. Hier gibt es eine Bootsgasse! Ich fahre langsam darauf zu, hänge mir meine Kamera um den Hals, starte knapp vor der Einfahrt in die Gasse die Videofunktion und bin auch schon unterwegs nach unten. Ich verlasse mich darauf, dass die durch Rippen am Boden der Bootsgasse erzeugten Wirbel mein Boot automatisch in der Gassenmitte halten. Sie tun es nicht. Das Boot dreht etwas quer und verklemmt sich am rechten Rand, von wo ich es mit Einsatz meines Paddels als Hebel wegzubringen versuche. Als das gelungen ist, steuere ich es mit steilem Paddeleinsatz rechts oder links – je nachdem welche Richtung der Bug zu nehmen droht – in Richtung Kanalende.

Bitte nicht auf das Bild klicken, sondern auf die folgende Zeile!


Die Strecke hinter Straubing ist wunderschön. Der Fluss mäandert, es gibt Schotterbänke und die Schiffahrtsrinne ist so schmal, dass man kaum glauben kann, dass hier die großen Schiffe Platz haben. Ich orientiere mich immer an den Bojen – rechts rot, links grün – um nicht plötzlich hinter einer Kurve mitten in der Fahrrinne vor einem Riesenschiff flüchten zu müssen. An einer Insel, die ein Vogelschutzgebiet ist, fahre ich mehr als zehn Minuten lang unter einer Wolke von Möwen durch, die schreien, als ob es ihnen ans Leben ginge. Dabei komme eher ich mir vor wie im Film „Vögel“ von Hitchcock.
Nach 62 km beschließe ich für heute genug gearbeitet zu haben und suche mir bei km 2289 am rechten Ufer, gegenüber einem Motorboot-Club, einen Platz für mein Zelt. Als ich dieses aufgebaut habe, schaue ich meinen Wasservorrat durch und denke mir, es könnte nicht schaden, diesen etwas aufzufrischen. Also mache ich mich mit zwei großen Pet-Flaschen auf den Weg zum nächsten Haus. Das ist nach zehn Minuten Fußmarsch schnell gefunden. Ich läute an der Tür, höre drinnen ein Geräusch, dann absolute Stille. Ich kann mir vorstellen, was da abläuft. Trotzdem läute ich noch einmal. Niemand rührt sich. Wahrscheinlich hätte ich mir auch nicht aufgemacht, wenn ich mich draußen stehen gesehen hätte. Sicher wäre es besser gewesen, mich vorher zu waschen, zu kämmen, zu rasieren und umzuziehen. Um die armen Leute nicht weiter zu verschrecken, mache ich mich auf den Weg zu einem anderen Bauernhof. Auf der Schotterstraße höre ich von hinten einen Traktor kommen. Ich winke ihm zu. Der Fahrer, ein junger Bauer, zieht geräuschdämpfende Stöpsel aus den Ohren und fragt mich mimisch nach meinem Begehr. Ich erkläre ihm, dass ich gerne irgendwo meine beiden Flaschen auffüllen würde und er sagt, ich solle ihm zum Bauernhof folgen. Er sprintet mit dem Traktor voraus und informiert augenscheinlich seine Mutter, die mir misstrauisch entgegen schaut, mich aber aufgrund der vorausgehenden Information ihres Sohnes jedenfalls nicht des Hofes verweist, sondern auf einen an der Außenmauer des Hauses angebrachten Wasserhahn deutet. Sofort fülle ich meine beiden 1 ½ l Kunststoffflaschen. Eine davon trinke ich sofort aus und fülle sie vor der staunenden Bäuerin neu. Sie weiß nun, sie hat ein Leben gerettet.
Bei meinem Zelt-Zuhause angekommen, reiße ich mir die Kleider vom Leib, springe in die Donau, wasche mir die Haare und kühle mich ab. Ich fühle mich jetzt wieder so ähnlich wie ein Mensch.

Um acht Uhr liege ich im Bett (naja, zumindest auf meiner Iso-Matte) und um fünf Uhr früh gehe ich den nächsten Tag an.

Dienstag:



Abfahrt um 6.00 Uhr. Wunderschöne Fahrt auf dem morgenfrischen Fluss. Kaum Wind. Die im Osten noch tief stehende Sonne blendet mich. Ich paddle einige Stunden durch. Links und rechts tauchen immer wieder die Dächer von Dörfern auf, die hinter dem Damm der aufgestauten Donau und den Hochwasserschutzwänden versunken scheinen. Gegen 10.00 Uhr fahre ich links an einem sehr nahen Dorf vorbei und sehe einen einsamen Aluminiumkahn verankert. Den steuere ich an, weil er eine der seltenen Gelegenheiten zum Anlanden darstellt. Ich vertäue mein Boot längsseits und steige über den Kahn aufs Trockene. Erst jetzt sehe ich, dass der gesamte Uferstreifen eine einzige Baustelle für eine Hochwasserschutzwand ist. Gott sei Dank finde ich nach ein paar Metern eine Stelle, die ich überklettern kann. Dann mache ich mich auf den Weg durch das verschlafene Dorf. Ich finde eine Metzgerei, bei der ich eine Bratenfleischsemmel für Mittag und eine Specksemmel für den Abend oder den nächsten Tag erstehe. Ich zahle ungefähr ein Viertel von dem, was ich angenommen habe, dass es kosten würde. Im Geschäft erfahre ich, dass es hinter dem Dorf einen Hafen gibt, der mir das Überklettern der Baustelle erspart hätte.

Bei Stromkilometer 2237,8 sehe ich am linken Ufer „Gasthof-Pension Fischer-Stüberl“ mit einer wunderbaren Anlegestelle, die ich sofort ansteuere. Ich vertäue mein Boot, kontrolliere, ob es hier die Wellen großer Schiffe unbeschadet aushalten kann und erkundige mich bei einer gehetzten Kellnerin nach einem freien Zimmer. Sie ersucht mich zu warten, bedient ihre Gäste fertig und schaut dann im Computer nach, ob es eine Chance für mich gibt. Es gibt sie nicht. Alle Zimmer belegt. Ich aber gebe nach 51 heißen Kilometern nicht auf: „Könnte ich im Garten hinter dem Haus mein Zelt aufbauen?“. Diese Frage greift. Sie ruft den Chef an, der gibt telefonisch die Erlaubnis und fünf Minuten später sehen mich die Leute im Gastgarten schon reichlich mit meinen wasserdichten Bootssäcken bepackt nach meinem Garten-Zeltplatz streben.
Nach einem opulenten Abendessen im Gastgarten gehe ich wieder früh zu Bett, weil ich am nächsten Tag wieder den kühlen Morgen für die ersten paar Stunden nutzen möchte.

Mittwoch:

Heute strebe ich den winzigen Ort Inzell in Österreich, am Ende der Schlögener Schlinge an, der auf Stromkilometer 2182,4 liegt.
Um sechs Uhr schaukle ich schon wieder auf den Wellen. Nach sieben Kilometern kommt das Kraftwerk Kachlet. Auch hier gibt es wieder hervorragende Bootswagen zum Umtragen. Nach dem Kraftwerk und dem Passieren der Stadt Passau, mit unzähligen verankerten Personenschiffen, kommt ein schöner Donauabschnitt, den ich sehr genieße.



Die Fließgeschwindigkeit ist gering und nimmt bis zum 27 km entfernten Kraftwerk Jochenstein stetig ab. Die Qualität der Umsetzstelle für Sportboote in Jochenstein ist nicht berühmt. Eine Tafel zeigt an, dass die Bootswagen in ein paar hundert Metern Entfernung zu finden seien. Ich mache mich auf den Weg, um festzustellen, dass es zwar Bootswagen gibt, aber nur für Lieblinge des Kraftwerks. Die Fahrgeräte sind nämlich mit Vorhangschlössern versperrt! Also nichts wie zurück, mein Boot auf die Rampe gezogen und meinen eigenen kleinen, mitgeführten Bootswagen aktiviert. Ich ersuche einen vorbeikommenden Radfahrer, mir dabei zu helfen, die Räder unter meinen Kajak zu bekommen. Der steigt sofort ab, ich hebe den Bug meines Bootes an, er schiebt das Wägelchen darunter und schon kann ich die Gurten verzurren. Währenddessen berichtet er mir, gerade vom Schwarzen Meer zu kommen, von Constanza, in Rumänien. Dann erzählt er mir noch ein paar Minuten von seiner Reise, bevor er weiterfährt. Welch ein Glück, dass die Bootswagen versperrt waren!
Vom Kraftwerk Jochenstein weg kommt wieder ein sehr schöner Donauabschnitt. Zunächst geht es an Engelhartszell und dem Kloster Engelszell vorbei, dann durch die Schlögener Schlinge bis zu meinem heutigen Zielpunkt Inzell. Bereits von Jochenstein aus habe ich telefonisch ein Zimmer bestellt. Ich stelle an einer Rampe das Boot wieder auf meinen Bootswagen, ziehe das Gefährt zum Gasthaus, wo ich mir eine Dusche und anschließend jede Menge Flüssigkeit im Gastgarten genehmige. Dann folgt ein Spaziergang und mein Abendessen.
Weil ich es schon so gewöhnt bin, gehe ich auch heute wieder früh schlafen. Frühstück gibt's um acht, wird mir gesagt. Um diese Zeit werde ich aber schon wieder zwei Stunden unterwegs sein.

Donnerstag:

Sechs Uhr Aufbruch und wieder eine sehr schöne Fahrt auf einem mir bestens bekannten Donauabschnitt, den ich schon viele Male von oben nach unten und unten nach oben befahren habe. Mein Ziel ist heute Wilhering.
Knapp vor diesem Zielpunkt liegt zunächst noch das Kraftwerk Aschach, bei dem ich schon x-fach Boote umgesetzt habe und dann das Kraftwerk Ottensheim. Diesmal hat es die Umsetzanlage von Aschach aber in sich! Ich ersuche eine Frau, die zufällig vorbeikommt, mir dabei zu helfen, den Bootswagen unter das Boot zu schieben, während ich das Faltboot wie gewohnt anhebe. Sie macht das bereitwillig. Das Boot sitzt bereits auf den Rädern, wenn auch noch etwas schief, als ich plötzlich ausrutsche und kopfüber ins Wasser falle. Schlammbedeckt und völlig nass krieche ich wieder an Land und bedanke ich mich bei der überraschten Dame. Dann karre ich mein Boot zur Einsetzstelle unterhalb des Kraftwerks. Dort heißt es dann für mich: Bootssäcke mit Handtuch und Reservekleidung heraus, abtrocknen, umziehen und alles wieder einpacken. Ich schiebe mir dann noch ein Stück Wurst, eine Schnitte Brot und einen Müsliriegel zwischen die Zähne, weil ich nach diesem Bad etwas Aufbauendes brauche.
Auf dem Abschnitt zwischen Aschach und Kraftwerk Ottensheim grüße ich eine stromauffahrende Dame, die hinter mir wendet, dann aufschließt und ein Gespräch mit mir beginnt. So wird der letzte Abschnitt meiner Fahrt noch recht kurzweilig. Sie erzählt, dass ihr Mann ein begeisterter Paddler ist, mit dem sie heute schon den Weg von Linz herauf hinter sich hat. Ihr Mann war es auch, der sie zum Paddeln gebracht hat. Er war Rennpaddler und hat bereits zum wiederholten Mal am „Yukon Quest“ in Kanada teilgenommen, der so wie das berühmte Schlittenhunderennen organisiert ist, aber mit Paddelbooten ausgetragen wird. Dabei geht es über mehr als 750 km den Yukon runter bis nach Dawson City.
Beim Krafwerk angekommen, holt sie für mich einen Bootswagen. Für sie selber braucht sie keinen, weil ihr 15 kg-Boot ohne Gepäck leicht zu tragen ist. Unten angekommen verabschieden wir uns und sie zieht mit ihrem Rennkajak nach Linz weiter, während ich nach der Regattastrecke im Ottensheimer Altarm rechts nach Wilhering einschwenke. Bei Kilometer 2144, gleich hinter der Fähre Wilhering-Ottensheim, gibt es nämlich eine Rampe, die zu einer großen Liegewiese führt, die sich hervorragend dafür eignet, mein Faltboot zu zerlegen und die Bootshaut und die übrige Ausrüstung aufzulegen und in der Sonne trocknen zu lassen. Es gibt auch eine schöne Zufahrt für das Auto, mit dem mich meine Frau bald abholen wird. Ich werde viel zu erzählen haben.

Ottensheim von der Wilheringer Seite aus gesehen